Heute Morgen, als ich mir das
Frühstück zubereitete und es draussen zum ersten Mal nicht mehr nach Hochsommer
ausschaute, kamen mir die Frühstücke meiner Kindheit in den Sinn. Dort, wo wir
jeden Sommer nach der langen Warterei in Roma Termini mit dem Regionalzug
weiterfuhren, ins Heimatdorf meines Vaters, südlich von Rom, nördlich von
Neapel. Gleich nach der Ankunft, ging meine Mutter in den Dorfladen und kaufte
die nötigsten Lebensmittel ein, darunter auch Milch, damit wir Mädchen am
nächsten Morgen frühstücken konnten. Ich weiss noch, dass sie es jedes Jahr
aufs Neue versuchte. Mich davon zu überzeugen, italienische Milch zu trinken.
Und ich erinnere mich noch genau, wie ich mich Jahr für Jahr ein paar
Ferientage lang in einen stillen und letztendlich erfolgreichen Widerstand
begab. Ich war nie ein Milchkind gewesen. Es kostete mich auch in der Schweiz
jeden Morgen einiges an Überwindung, die heisse Milch mit wenig Kakaopulver –
meine Mutter hielt Kakaopulver für ungesund – zu trinken. In Italien aber, war
für mich in keiner Weise an Milch trinken auch nur zu denken. Auch mit der
doppelten Menge an Kakaopulver nicht. Die Milch roch einfach anders. Ich kann
nicht genau sagen wonach. Vielleicht ein bisschen nach Käse, nach verdorben
oder nach Plastik oder alles zusammen? Natürlich tat ich es kund und schob
angewidert die Tasse von mir. Da meine Mutter von relativ ungeduldiger Natur
ist, nahm sie sofort ein Glas zur Hand, schenkte sich energisch etwas Milch
ein, roch daran, trank es in einem Zug leer und sagte, dass sie nichts
Aussergewöhnliches an dieser Milch feststellen konnte. Dass sie genauso roch
und schmeckte wie die Milch in der Schweiz und ich solle jetzt mal nicht so
heikel tun. Schliesslich würden meine Schwester und alle anderen Dorfkinder
diese Milch jeden Morgen auch trinken. Basta. Da argumentieren bei meiner
Mutter nichts nützte, begab ich mich in einen stillen Widerstand, der am ersten
Ferientag durchaus auch bis zur Mittagszeit dauern konnte. Ich sass einfach da,
sagte nichts, trank aber auch meine Milch nicht. Am nächsten Tag versuchte sie
es mit einer anderen Milchmarke. Die sei viel besser, auch teurer, aber das sei
egal, Hauptsache ich würde meine tägliche Ration Milch trinken. Nichts zu
machen. Ich rührte auch die teure italienische Milch nicht an. In der
Zwischenzeit wirbelte meine Mutter um mich herum, machte die Betten, wischte
den Boden, ging ins Badezimmer, duschte, zog sich an und erinnerte mich in
regelmässigen Abständen daran, meine Milch endlich zu trinken. So ging es zwei,
drei Tage lang. Nichts geschah. Ich konnte diese Milch einfach nicht trinken.
Irgendwann, am Tag X, setzte sich mein Vater zu mir an den Tisch. Rührte lange
und schweigend in seinem Espresso herum, trank ihn, schaute mich an und fragte,
ob es denn wirklich so schlimm sei mit dieser Milch. «Ja, ist es», antwortete
ich leise. Und dann sagte er, mehr beiläufig als direkt, zu meiner Mutter:
«Weisst du, sie könnte ja morgens auch einfach einen Tee trinken.» «Kinder
müssen Milch trinken», antwortete meine Mutter leicht gereizt. «Aber vier
Ferienwochen lang keine Milch trinken, wird ja wohl keinen so grossen Schaden
anrichten, meinst du nicht auch?» und zu mir gewandt fuhr mein Vater fort: «Du
versprichst aber, dass du, wenn wir wieder in der Schweiz sind, jeden Morgen
anstandslos deine Milch trinkst, nicht wahr?» Es kostete mich viel, aber ich
versprach es. Ich war gerettet. Fortan bekam ich in den Sommerferien zum
Frühstück einen kleinen Krug Tee, dazu eine Scheibe italienisches Weissbrot mit
Marmelade – ohne Butter – die roch nämlich auch seltsam ...