In diesem
Frühling, der keiner ist und allem Anschein nach auch keiner mehr werden will,
denke ich oft an meine Indienreise zurück. Besonders an jenen stillen, sonnendurchfluteten
Nachmittag, den ich auf den Backwaters von Kerala verbrachte. Er schenkte mir
nicht nur Wärme, nach der sich meine mediterranen Gene je länger je mehr sehnen,
sondern auch ein unvergleichliches, selten zuvor erlebtes Gefühl von inniger Geborgenheit
und Heimat. Ein Gefühl – und das schreib ich nicht gerne – das ich in dem Land,
in dem ich geboren wurde und immer noch lebe, so bis jetzt noch nie erfahren durfte
...
Ich hatte
Glück mit meiner Backwater Tour, so wie überhaupt die ganze Zeit, die ich vorletzten
Winter alleine reisend in Indien verbrachte. Stets wurde ich freundlich,
zuvorkommend und viele Male geradezu liebevoll behandelt.
An diesem Tag,
es war ein Mittwoch, wollte ich eine kleine Tour durch die Flussarme des
Hinterlandes von Kerala machen. Ich hatte Glück, denn an diesem Nachmittag war
ich der einzige Gast auf einem Holzkahn, der auch schon bessere Tage erlebt
hatte. Der alte Fährmann rückte mir in der Mitte des Bootes einen bequemen Korbstuhl
mit Armlehnen zurecht und schüttelte das von der Sonne verblichene Kissen auf. Danach
lud er mich mit einem freundlichen Kopfnicken ein, Platz zu nehmen.
War es ein
magischer Korbstuhl? Mein Fährmann heisst Siddhartha und
ich bin eine indische Prinzessin. Ich drehe mich leicht verunsichert um, blicke
meinen Fährmann an. Siddhartha sitzt an seinem angestammten Platz, das Ruder
fest in den Händen. Es geht los. Geschickt und beinahe geräuschlos taucht er
das Holzruder abwechselnd links und rechts ins Wasser. Lautlos gleiten wir
durch ein weitverzweigtes Labyrinth von Flussarmen. Vorbei an hohen Kokospalmen,
riesigen Ananasstauden und mächtigen Mangrovenbäumen. Abgebrochene Baumstämme
ragen aus dem Wasser, darauf stehen stumm schwarze Kormorane. Ab und zu fliegen
ein paar Krähen aufgeregt kreischend durch das tropische Pflanzendickicht. Über
uns ziehen kleine Adler ihre Kreise. Siddhartha kennt und wählt den Weg durchs Labyrinth.
Ich weiss nicht mehr wo wir sind. Eine sanfte Ruhe überkommt mich. Den
Fotoapparat habe ich längst wieder in der Tasche verstaut. Ich muss nichts mehr
dokumentieren. Nur noch fühlen und riechen. Ich lehne mich zurück, lasse mich
tragen vom gleichmässigen Geräusch des Ruders. Links, rechts, links, rechts ...
dazu die Vogelstimmen, die nur in diesen Breitengraden so zu vernehmen sind. Ab
zu drehe ich mich um. Ist Siddhartha überhaupt noch da? Ja, er ist es. Sein
zerfurchtes Gesicht lächelt mir jedes Mal so zu, als ob er mich gerade jetzt zum
ersten Mal oder nach sehr langer Zeit wieder sehen würde. Complicité ohne Worte
in einem mir fremden Land.
Eine kleine Siedlung taucht am Ufer auf. Männer baden unter
sich im Fluss, Frauen waschen sich etwas weiter davon entfernt ihre
schwarzglänzenden, langen Haare und lachen. Ein paar Kühe und Ziegen teilen
sich den Schatten eines Hindutempels und einer kleinen Moschee. Ab und zu weht
eine kleine Brise, doch die Luft ist grundsätzlich feucht, heiss und schwer. Es
riecht nach erdigem Wasser, nach grünen Pflanzen und süssen Früchten.
Nach ungefähr einer Stunde gelangen wir zum Aussichtspunkt meiner kleinen Bootsfahrt. Siddhartha legt an einer schmalen Landzunge geschickt an, wir steigen aus. Mit einer Handbewegung bedeutet er mir, immer geradeaus zu gehen. Er selber bleibt stehen und setzt sich erst nach einer Weile in Bewegung. Schweigend begleitet er mich in einem sicheren und beschützenden Abstand bis zum Ziel, wo mich ein besonderes Naturschauspiel erwartet. Hier, an der äussersten Spitze der kleinen Landzunge, treffen das süsse Wasser des Flusses und das salzige Wasser des Arabischen Meeres für einen kleinen, aber sehr grandiosen Moment der Glückseligkeit aufeinander. Immer und immer wieder. Unaufhörlich. Ewig. Und ich darf so lange zusehen und bleiben wie ich will. Siddhartha wartet an der brütenden Sonne auf mich. Ein, höchstens zwei Fotos und dann nur noch zuschauen, dabei sein.
Nach ungefähr einer Stunde gelangen wir zum Aussichtspunkt meiner kleinen Bootsfahrt. Siddhartha legt an einer schmalen Landzunge geschickt an, wir steigen aus. Mit einer Handbewegung bedeutet er mir, immer geradeaus zu gehen. Er selber bleibt stehen und setzt sich erst nach einer Weile in Bewegung. Schweigend begleitet er mich in einem sicheren und beschützenden Abstand bis zum Ziel, wo mich ein besonderes Naturschauspiel erwartet. Hier, an der äussersten Spitze der kleinen Landzunge, treffen das süsse Wasser des Flusses und das salzige Wasser des Arabischen Meeres für einen kleinen, aber sehr grandiosen Moment der Glückseligkeit aufeinander. Immer und immer wieder. Unaufhörlich. Ewig. Und ich darf so lange zusehen und bleiben wie ich will. Siddhartha wartet an der brütenden Sonne auf mich. Ein, höchstens zwei Fotos und dann nur noch zuschauen, dabei sein.
Auf dem Rückweg geht er voraus. Es ist heiss, ich
folge ihm, präge mir seinen gelassenen, zeitlosen Gang ein. Zurück beim Kahn, hilft
er mir beim Einsteigen, rückt abermals den Korbstuhl zurecht, klopft auf das
Kissen ... Ich versinke darin. Das rhythmische, sanfte Schaukeln lässt mich
dösen. Ich darf, denn Siddhartha ist ein erfahrener Fährmann. Auf dieser Rückfahrt
ist der Geist ruhig, mein Herz voller Glück und ich daheim.
«Von den Geheimnissen des Flusses aber sah er heute nur eines, das ergriff seine Seele. Er sah: dies Wasser lief und lief, immerzu lief es, und war doch immer da, war immer und allezeit dasselbe und doch jeden Augenblick neu!»
Hermann Hesse, Siddhartha [Kapitel: Der Fährmann]
«Von den Geheimnissen des Flusses aber sah er heute nur eines, das ergriff seine Seele. Er sah: dies Wasser lief und lief, immerzu lief es, und war doch immer da, war immer und allezeit dasselbe und doch jeden Augenblick neu!»
Hermann Hesse, Siddhartha [Kapitel: Der Fährmann]