Ich habe mein
grosses Bücherregal entstaubt, gereinigt und sämtliche Bücher neu eingereiht. Rechts
die deutschen, links die italienischen und darüber eine Büste von Dante, die
ich mir vor Jahren mal unbedingt in Florenz kaufen wollte und es auch tat. Zuunterst
die anderen Sprachen. In der Reihenfolge ihrer Häufigkeit sind dies Französisch,
Spanisch und Englisch. Vier Stunden hat mich diese Arbeit gekostet. Dabei bin
ich gereist. Durch Geschichten und Lebensabschnitte. Ich erinnere mich an Begebenheiten,
an einen Ehemann, an Liebschaften, an Freundschaften, an Wohngemeinschaften, an
Stimmungen, an literarische Vorlieben. An bestimmte Sommer und Winter, in denen
ich es mir zum Ziel gemacht hatte, möglichst alle oder zumindest viele Bücher
eines Autors oder einer Autorin zu lesen, weil mich Stil und Handlungen faszinierten.
Schon seit jeher waren mir Bücher Zuflucht, Verstehen und Heimat. Und sie sind
es heute noch.
Ich stelle
fest, dass ich ungefähr gleich viele deutsch- wie italienischsprachige Bücher besitze.
Ich stelle fest, dass ich italienische Übersetzungen von deutschsprachigen Autoren und umgekehrt gelesen habe. Ich
stelle fest, dass links, in der italienischen Abteilung, praktisch lückenlos sämtliche
Klassiker der italienischen Literatur vertreten sind. Und ich stelle fest, dass
rechts, in der deutschen Abteilung, die wichtigsten deutschen Klassiker fehlen.
Nicht, dass ich diese nicht gelesen hätte. Und zwar als handliche,
platzsparende, preisgünstige gelbe Reclam-Ausgaben, denn es gab Lebensphasen,
in denen mein Budget wenig zuliess. Doch dies ist nicht der wahre Grund. Wenn
ich vor meiner Bücherwand stehe und die linke Seite betrachte, dann offenbart
sich mir eine andere Wahrheit. Dass ich nämlich mein knappes Geld lieber in italienische
Klassiker investierte. Mit ihnen verbinden mich nach wie vor Emotionen und die Neugier,
die Wurzeln meiner Herkunft zu erforschen. Zu den deutschen Klassikern konnte
ich nie eine innige Beziehung aufbauen. Ich las sie aus intellektuellem Interesse
und auch weil sie im Zusammenhang mit meinem beruflichen Werdegang zur
Pflichtlektüre gehörten. Bei meinen regen Wohnungswechseln konnte man die überaus
praktischen Reclam-Bändchen – sprich, die deutschen Klassiker – mit ein paar
wenigen Handgriffen problemlos in einen Migros-Papiersack verstauen, der mal
in einem viel zu feuchten Keller zwischengelagert wurde und deshalb Jahre
später der Müllabfuhr zum Opfer fiel. Tönt lieblos, ist es aber nicht. Im
Gegenzug habe ich viele schöne Erinnerungen an Theateraufführungen. Goethe,
Schiller, von Hofmannsthal, Eichendorff, Büchner ... Goethe mag ich. Vor
allem seine Lebensgeschichte, seine Briefwechsel und seine Gedichte. Vielleicht
investiere ich demnächst mal in einen schönen Gedichtband. Aber es würde mir
nie in den Sinn kommen, nach Weimar zu reisen, eine Büste zu kaufen und diese auf
die rechte Seite meiner Bücherwand aufzustellen.