Dienstag, 9. September 2014

Goethe sieht besser aus

... als Dante. Dies schreibt mir meine Freundin aus Italien als Kommentar zu meinem letzten Blogeintrag. Genau aus diesem Grunde würde sie viel lieber eine Büste von ihm, als eine von Dante auf ihr Bücherregal stellen. Ausserdem sei sie stolze Besitzerin sämtlicher Gedichte von Goethe. Ein Geschenk des deutschen Vizekonsuls aus Mailand als Dank für geleistete Dolmetscherdienste. Im Begleitschreiben vom 8. September 1993 steht unter anderem:

(...) La ringrazio, (...) per essere stata una interprete veramente bravissima durante la visita a Venezia dei deputati (...). Gli argomenti trattati, decisamente, non erano facili da tradurre e i due ospiti non erano sempre facili da sopportare, ma Lei è riuscita a superare queste difficoltà con altrettanto talento che grazia. (…)

Köstlich. Dass nicht nur das Thema, sondern auch die beiden deutschen Gäste eher von der schwierigen Sorte waren, wird hier direkt beim Namen genannt. Und dass die Freundin diese Schwierigkeiten nicht nur mit Bravur, sondern auch con grazia gemeistert hat. Dafür hat sie Tutte le poesie von Goethe geschenkt bekommen. Darum beneide ich sie nun.

Aber: Ich finde nicht, dass Goethe besser als Dante aussieht.

Sonntag, 7. September 2014

Bücher aufräumen und dabei etwas über Heimat verstehen

Ich habe mein grosses Bücherregal entstaubt, gereinigt und sämtliche Bücher neu eingereiht. Rechts die deutschen, links die italienischen und darüber eine Büste von Dante, die ich mir vor Jahren mal unbedingt in Florenz kaufen wollte und es auch tat. Zuunterst die anderen Sprachen. In der Reihenfolge ihrer Häufigkeit sind dies Französisch, Spanisch und Englisch. Vier Stunden hat mich diese Arbeit gekostet. Dabei bin ich gereist. Durch Geschichten und Lebensabschnitte. Ich erinnere mich an Begebenheiten, an einen Ehemann, an Liebschaften, an Freundschaften, an Wohngemeinschaften, an Stimmungen, an literarische Vorlieben. An bestimmte Sommer und Winter, in denen ich es mir zum Ziel gemacht hatte, möglichst alle oder zumindest viele Bücher eines Autors oder einer Autorin zu lesen, weil mich Stil und Handlungen faszinierten. Schon seit jeher waren mir Bücher Zuflucht, Verstehen und Heimat. Und sie sind es heute noch.
Ich stelle fest, dass ich ungefähr gleich viele deutsch- wie italienischsprachige Bücher besitze. Ich stelle fest, dass ich italienische Übersetzungen von deutschsprachigen  Autoren und umgekehrt gelesen habe. Ich stelle fest, dass links, in der italienischen Abteilung, praktisch lückenlos sämtliche Klassiker der italienischen Literatur vertreten sind. Und ich stelle fest, dass rechts, in der deutschen Abteilung, die wichtigsten deutschen Klassiker fehlen. Nicht, dass ich diese nicht gelesen hätte. Und zwar als handliche, platzsparende, preisgünstige gelbe Reclam-Ausgaben, denn es gab Lebensphasen, in denen mein Budget wenig zuliess. Doch dies ist nicht der wahre Grund. Wenn ich vor meiner Bücherwand stehe und die linke Seite betrachte, dann offenbart sich mir eine andere Wahrheit. Dass ich nämlich mein knappes Geld lieber in italienische Klassiker investierte. Mit ihnen verbinden mich nach wie vor Emotionen und die Neugier, die Wurzeln meiner Herkunft zu erforschen. Zu den deutschen Klassikern konnte ich nie eine innige Beziehung aufbauen. Ich las sie aus intellektuellem Interesse und auch weil sie im Zusammenhang mit meinem beruflichen Werdegang zur Pflichtlektüre gehörten. Bei meinen regen Wohnungswechseln konnte man die überaus praktischen Reclam-Bändchen – sprich, die deutschen Klassiker – mit ein paar wenigen Handgriffen problemlos in einen Migros-Papiersack verstauen, der mal in einem viel zu feuchten Keller zwischengelagert wurde und deshalb Jahre später der Müllabfuhr zum Opfer fiel. Tönt lieblos, ist es aber nicht. Im Gegenzug habe ich viele schöne Erinnerungen an Theateraufführungen. Goethe, Schiller, von Hofmannsthal, Eichendorff, Büchner ... Goethe mag ich. Vor allem seine Lebensgeschichte, seine Briefwechsel und seine Gedichte. Vielleicht investiere ich demnächst mal in einen schönen Gedichtband. Aber es würde mir nie in den Sinn kommen, nach Weimar zu reisen, eine Büste zu kaufen und diese auf die rechte Seite meiner Bücherwand aufzustellen.