Es gab ein paar
wenige Sommer, in denen wir in den langen Ferien nicht nach Italien fuhren. Wir
blieben in der Schweiz und feierten den 1. August. Vater holte ein paar Lampions
aus dem Keller, Mutter deckte den Tisch auf dem Balkon. Eine Schweizer Fahne
wurde in den Basilikumtopf gesteckt. Gleich daneben eine italienische. Das gab
Anlass zu Diskussionen. Meine Mutter war dagegen. Sie fand, Italien hätte am Nationalfeiertag
der Schweiz nichts zu suchen. Doch mein Vater war da anderer Meinung. Er wollte
ein Zeichen setzen. Wollte seiner Gastheimat gegenüber Dankbarkeit zeigen.
Dafür, dass man es ihm ermöglicht hatte, sich hier eine Existenz und
wirtschaftliche Sicherheit aufzubauen. Er pries die Vorzüge der Schweiz. An
diesem Tag dachte man weder über fremdenfeindliche Äusserungen nach, noch an
Schwarzenbach und Konsorten.
Die vielen anderen
Sommer verbrachten wir in Italien. Meine Mutter packte zwei rote Windlichter
mit Schweizer Kreuz in die Ferienkoffer. Der 1. August wurde im Wandkalender
eingekreist und bei Anbruch der Dunkelheit durften wir Kinder auf der Veranda
die Windlichter anzünden. Kamen an diesem Abend per Zufall unsere italienischen
Verwandten vorbei, fragten sie stets, ob jemand gestorben sei. Die roten
Windlichter erinnerten sie an Friedhöfe. «Nein, wir feiern den Geburtstag der
Schweiz!» rief ich. «Mit Totenlichtern?» fragten sie. Ich ärgerte mich sehr.
Damals schon wusste ich, dass ich mich weder dort noch hier jemals richtig
daheim fühlen würde. Dafür trug ich aber einen Schatz in mir. Den Schatz, zwei
Kulturen zu kennen. Ich kannte und lebte etwas, von dem die Dortgebliebenen
keine Ahnung hatten. Das war und ist nach wie vor ein sehr bereicherndes Gefühl.