Freitag, 1. August 2014

1. August

Es gab ein paar wenige Sommer, in denen wir in den langen Ferien nicht nach Italien fuhren. Wir blieben in der Schweiz und feierten den 1. August. Vater holte ein paar Lampions aus dem Keller, Mutter deckte den Tisch auf dem Balkon. Eine Schweizer Fahne wurde in den Basilikumtopf gesteckt. Gleich daneben eine italienische. Das gab Anlass zu Diskussionen. Meine Mutter war dagegen. Sie fand, Italien hätte am Nationalfeiertag der Schweiz nichts zu suchen. Doch mein Vater war da anderer Meinung. Er wollte ein Zeichen setzen. Wollte seiner Gastheimat gegenüber Dankbarkeit zeigen. Dafür, dass man es ihm ermöglicht hatte, sich hier eine Existenz und wirtschaftliche Sicherheit aufzubauen. Er pries die Vorzüge der Schweiz. An diesem Tag dachte man weder über fremdenfeindliche Äusserungen nach, noch an Schwarzenbach und Konsorten.
Die vielen anderen Sommer verbrachten wir in Italien. Meine Mutter packte zwei rote Windlichter mit Schweizer Kreuz in die Ferienkoffer. Der 1. August wurde im Wandkalender eingekreist und bei Anbruch der Dunkelheit durften wir Kinder auf der Veranda die Windlichter anzünden. Kamen an diesem Abend per Zufall unsere italienischen Verwandten vorbei, fragten sie stets, ob jemand gestorben sei. Die roten Windlichter erinnerten sie an Friedhöfe. «Nein, wir feiern den Geburtstag der Schweiz!» rief ich. «Mit Totenlichtern?» fragten sie. Ich ärgerte mich sehr. Damals schon wusste ich, dass ich mich weder dort noch hier jemals richtig daheim fühlen würde. Dafür trug ich aber einen Schatz in mir. Den Schatz, zwei Kulturen zu kennen. Ich kannte und lebte etwas, von dem die Dortgebliebenen keine Ahnung hatten. Das war und ist nach wie vor ein sehr bereicherndes Gefühl.