Danke an alle, die meinen Blog lesen –
für die Anteilnahme und die schönen Kommentare. Ein Freund von mir fühlte sich von
Roma Termini so inspiriert, dass er noch heute einen eigenen Text zu diesem Thema
verfasst hat, den ich jetzt hier auf meinen Blog stellen darf.
Ich
kenne auch so einen Zug, ich habe ihn über Jahre genommen. Ich arbeitete damals
in Bern, meine Eltern waren gerade in die Toskana gezogen, mein Vater lebte
noch. Ein paar Mal im Jahr bin ich von der Arbeit direkt zum Bahnhof gegangen
und habe mich in diesen Zug nach Roma gesetzt. Ein Sessel, kein Liegeabteil,
das war mir damals zu teuer. Familien, Kinder, Studenten, Touristen. Es wurde
viel gesprochen, in allen Sprachen, vor allem Italienisch. Am lautesten waren
die Amerikanerinnen in ihren kurzen Shorts. Zuerst wurde gegessen, dann wurde es
still und draussen dunkel. Die Leute versuchten zu schlafen oder lasen,
plauderten ruhiger. Die Amerikanerinnen lachten laut oder schliefen laut.
Der
Zug hielt oft, meistens blieb er lange stehen, wurde an einen anderen Zug
gekoppelt, fuhr endlich weiter. Bei jedem Halt ruckelte er die Reisenden wieder
wach. Neue Gespräche, wieder einschlafen. Aber ja nicht zu lange schlafen, um
den Halt in Florenz nicht zu verpassen.
Diesen
Zug zu nehmen, das war wie durch Zauberhand von einer Welt in die andere zu gleiten.
Ich stieg abends, nördlich der Alpen, in den Zug ein und am nächsten Morgen, südlich
der Alpen, stand die Sonne rot am Horizont. Ich befand mich in einem anderen
Land. Die Temperatur, das Klima waren anders, die Sprache war anders, der Ton
war anders. Ich war in Florenz.
Es
war ungefähr 5 Uhr morgens, niemand kannte mich, die Stadt gehörte mir. Zu Fuss
ging ich durch die Strassen, die Geschäfte waren noch geschlossen, es fuhren
noch keine Busse. Eine Bar rollte langsam das Eisengitter hoch. Dort trank ich meinen
ersten Kaffee, ass ein Panini und las die Zeitung. Das heisst, ich las bloss die
Titel, den Rest verstand ich kaum.
Dann spazierte
ich durch die leeren Strassen der Stadt. Vorbei an all diesen gigantischen
Bauten, vor denen in ein paar Stunden tausende von Menschen Schlange stehen
würden.
Im
gedeckten Markt war Leben, es war laut und es roch nach Fleisch, Fisch und
Käse. Weiter, auf die Piazza della Signoria, wo ich mir den David anschaute und
an den Scheiterhaufen des Savonarola denken musste und zum Schluss noch durch
die Gasse, in der Dantes Beatrice gelebt haben soll ... Und dann wieder zurück
zum Bahnhof, um den Zug nach Siena und weiter nach Buonconvento zu nehmen, um
endlich in mein neues deutsch-norwegisch-sprachiges Elternhaus, in dem aber
auch Französisch gesprochen wurde, anzukommen.
So
geht es mir heute noch, dass ich aus einem Land, das nicht meines ist, in ein
anderes Land reise, das auch nicht meines ist – da und dort ein Ausländer bin.
Und auch wenn ich nach Norwegen reise, in «mein» Land, bleibe ich ein
Ausländer.
Die
alten Häuser des mittelalterlichen Florenz, das Wasser des Arnos oder der Aare,
die Hügel der Toskana oder die Weiden des Neuenburger Jura, das Lächeln der
Leute auf der Strasse, auf allen Strassen, das Kommunizieren in allen Sprachen
– mit Händen und Füssen – das ist mein Zuhause. Meine Wurzeln sind relativ. Ich
kann sie festsetzen, wo ich will.
Dag
Ivar