Sonntag, 7. September 2014

Bücher aufräumen und dabei etwas über Heimat verstehen

Ich habe mein grosses Bücherregal entstaubt, gereinigt und sämtliche Bücher neu eingereiht. Rechts die deutschen, links die italienischen und darüber eine Büste von Dante, die ich mir vor Jahren mal unbedingt in Florenz kaufen wollte und es auch tat. Zuunterst die anderen Sprachen. In der Reihenfolge ihrer Häufigkeit sind dies Französisch, Spanisch und Englisch. Vier Stunden hat mich diese Arbeit gekostet. Dabei bin ich gereist. Durch Geschichten und Lebensabschnitte. Ich erinnere mich an Begebenheiten, an einen Ehemann, an Liebschaften, an Freundschaften, an Wohngemeinschaften, an Stimmungen, an literarische Vorlieben. An bestimmte Sommer und Winter, in denen ich es mir zum Ziel gemacht hatte, möglichst alle oder zumindest viele Bücher eines Autors oder einer Autorin zu lesen, weil mich Stil und Handlungen faszinierten. Schon seit jeher waren mir Bücher Zuflucht, Verstehen und Heimat. Und sie sind es heute noch.
Ich stelle fest, dass ich ungefähr gleich viele deutsch- wie italienischsprachige Bücher besitze. Ich stelle fest, dass ich italienische Übersetzungen von deutschsprachigen  Autoren und umgekehrt gelesen habe. Ich stelle fest, dass links, in der italienischen Abteilung, praktisch lückenlos sämtliche Klassiker der italienischen Literatur vertreten sind. Und ich stelle fest, dass rechts, in der deutschen Abteilung, die wichtigsten deutschen Klassiker fehlen. Nicht, dass ich diese nicht gelesen hätte. Und zwar als handliche, platzsparende, preisgünstige gelbe Reclam-Ausgaben, denn es gab Lebensphasen, in denen mein Budget wenig zuliess. Doch dies ist nicht der wahre Grund. Wenn ich vor meiner Bücherwand stehe und die linke Seite betrachte, dann offenbart sich mir eine andere Wahrheit. Dass ich nämlich mein knappes Geld lieber in italienische Klassiker investierte. Mit ihnen verbinden mich nach wie vor Emotionen und die Neugier, die Wurzeln meiner Herkunft zu erforschen. Zu den deutschen Klassikern konnte ich nie eine innige Beziehung aufbauen. Ich las sie aus intellektuellem Interesse und auch weil sie im Zusammenhang mit meinem beruflichen Werdegang zur Pflichtlektüre gehörten. Bei meinen regen Wohnungswechseln konnte man die überaus praktischen Reclam-Bändchen – sprich, die deutschen Klassiker – mit ein paar wenigen Handgriffen problemlos in einen Migros-Papiersack verstauen, der mal in einem viel zu feuchten Keller zwischengelagert wurde und deshalb Jahre später der Müllabfuhr zum Opfer fiel. Tönt lieblos, ist es aber nicht. Im Gegenzug habe ich viele schöne Erinnerungen an Theateraufführungen. Goethe, Schiller, von Hofmannsthal, Eichendorff, Büchner ... Goethe mag ich. Vor allem seine Lebensgeschichte, seine Briefwechsel und seine Gedichte. Vielleicht investiere ich demnächst mal in einen schönen Gedichtband. Aber es würde mir nie in den Sinn kommen, nach Weimar zu reisen, eine Büste zu kaufen und diese auf die rechte Seite meiner Bücherwand aufzustellen.