Sonntag, 1. Dezember 2013

Sich selber googeln

Da bin ich wieder. Ich hatte mich verloren. Monatelang surfte ich auf einer Welle. Wisst ihr wie man die Stelle nennt, an der die Welle bricht? Nicht nur die Stelle tat weh. Alles tat weh. Einen Wellenbrecher hatte ich nicht eingerichtet. Ich hielt es nicht für nötig.
«Da, bitte tippen Sie mein Manuskript ab. Ich bezahle Sie dafür im Stundenlohn», sagte der alte Bänziger und streckte mir ein dickes, handgeschriebenes Bündel Papier entgegen. Der alte Bänziger, Leiter der SAL, an der ich mich vor über zwei Jahrzehnten als Übersetzerin ausbilden liess, hatte ein Theaterstück verfasst. Die Büchse der Pandora, so der Titel. Eine zeitgenössische und ziemlich eigenwillige Umsetzung der gleichnamigen griechischen Sage. «Arbeit ist das beste aller Heilmittel», fügte er hinzu und blinzelte mir aus verschmitzten, blauen Augen aufmunternd zu, bevor er wieder entschwand. Auch damals hatte ich mich verloren. Das Manuskript rettete mich. Brachte mich wieder zurück. Ich weiss nicht mehr so genau wohin. Aber immerhin zurück. Die Füsse auf dem Boden.
Als vor ein paar Wochen erneut eine Welle über mich hereinbrach, gab es keinen alten Bänziger mehr, der mir ein Manuskript zum Abtippen entgegenstreckte. Dafür kam ich irgendwann plötzlich auf die Idee, mich selber zu googeln. Vielleicht würde ich mich da draussen auf dem Netz finden. Ein paar Mausklicks später stiess ich tatsächlich auf mich. Eckdaten über mich, alte Adressen, die meisten geschäftlich. Und dann dieser Artikel von mir, den ich längst vergessen hatte. Ich öffnete den Link, las meinen Text und staunte. Staunte darüber, dass alles noch stimmt. Dass ich heute, nach acht Jahren, jeden Satz genauso wieder schreiben würde. Über das Foto von mir musste ich allerdings lächeln. Heute würde ich mehr Zeit dafür aufwenden wollen. Damals war ich so gestresst, dass es mir nichts ausmachte, mich unfrisiert und ungeschminkt von meinen Bürokolleginnen schnell abknipsen zu lassen, weil die auf der Redaktion noch in letzter Sekunde ein Foto brauchten.

Mein Artikel erschien 2005 im Bulletin der Zürcher Frauenzentrale als Beitrag in der Serie Jung-Unternehmerin. Es ging um das Thema Integration. Mein Thema. Ihr findet mich auf Seite 10. Dort habe auch ich mich wiedergefunden. Dort konnte ich nach der Welle an das anknüpfen, was mir festen Boden unter den Füssen gibt. Meine Herkunft, meine Geschichte, meine Arbeit, meine Identität.